Welterbe Wien: Heumarkt-Deklaration – Vom Turm zum Hochhausriegel! – Offener Brief von 13 NGOs und 36 Fachleuten an die UNESCO in Paris

Die Stadt Wien meint, den unverhandelbaren UNESCO-Vorgaben mit einem „Kompromiss“ begegnen zu können, der keiner ist – Das Projekt ist heute unangebrachter denn je

Auch nach acht Jahren Auseinandersetzung um das Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt ist die Wiener Stadtregierung noch immer nicht bereit, die Vorgaben1 zu akzeptieren, die seitens der UNESCO 2013 für diese besonders sensible Lage in der Kernzone der Weltkulturerbestätte „Historisches Zentrum von Wien“ festgelegt wurden. Anstatt den Investor zu ihrer Einhaltung zu verpflichten, versucht sie, die UNESCO, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit mit einem Kompromissangebot, das keines ist, zu in die Irre zu führen.

Was ist geschehen?
Im März 2019 verkündet die Stadtregierung zum wiederholten Mal eine „Nachdenkphase“. Zuvor hatten Gutachten und ein Heritage Impact Assessment(HIA)-Report im Auftrag der Bundesregierung sowie ein ICOMOS Advisory Mission Report neuerlich die Unvereinbarkeit des Projekts mit dem Welterbestatus festgestellt. Mit den Verhandlungen über eine Baubewilligung wolle man bis zur Entscheidung über die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitprüfung warten.

Bereits im Dezember 2019 endet diese für zwei Jahre angesetzte „Nachdenkphase“ zwiespältig: einerseits mit der Bekanntgabe einer abgeschlossenen Bauverhandlung über das unveränderte Projekt und andererseits mit einem angeblichen „Kompromissangebot“.
Ein Baubewilligungsbescheid wurde vorerst nicht ausgestellt, er wird allerdings für den Fall „angedroht“, dass die UNESCO der angebotenen „Alternative“ nicht zustimmt. Die Pointe: Welche Baumassen dieser „alternative Lösungsansatz“ konkret vorsieht, soll erst danach offengelegt werden.

Zur Richtung dieser „Alternativlösung“ kann aus der bisherigen Projektgeschichte und aus den mit irreführenden Zahlen operierenden Meldungen des Welterbebeauftragten der Stadt Wien geschlossen werden, dass sie, nach der Baumassenerhöhung um ca. 25% auf 223.860m³ in der ersten „Nachdenkphase“ 2016, eine weitere, massive Vergrößerung des Gesamtvolumens und insbesondere der Bauhöhen des Hochhausriegels bringen wird.

Ansonsten sind die spärlichen Angaben widersprüchlich: Im Bericht der Stadt an die UNESCO heißt es lediglich, dass der Turm „mit einer Höhe von 66,3 m“ nicht gebaut werden soll, und eine „Erhöhung des Hotel-Hochhauses nicht ausgeschlossen wird“. Aber ist damit, wie gegenüber den Medien kommuniziert, der gänzliche Wegfall des Turms gemeint?
Und wie ist es zu verstehen, dass der Welterbebeauftragte der Stadt Wien von einer Bestandshöhe des Hotels von 48 m spricht, während dieser Hotelbestand –von der UNESCO als Maximalhöhe des Projektsfestgelegt(1) –in Wirklichkeit nur 38 m misst?

Wenn weiters gegenüber der Öffentlichkeit suggeriert wird, die UNESCO solle sich mit dem Investor, was die Bauhöhe betrifft, „in der Mitte“ treffen, steht zu befürchten, dass die Hotelscheibe von derzeit 38 mzu einem massiven Hochhausriegel von bis zu 55 m anwachsen soll. Also auf 1 ½ mal die Höhe des Bestands! Und auf einen solchen Kuhhandel soll sich die UNESCO einlassen?Schon im, entgegen gesetzlichen Rahmenbedingungen, jetzt für „baureif“ erklärten Projekt ist der Neubau des Hotels um fast 10 m höher, als die UNESCO es fordert, statt die Bestandshöhe von 38 m einzuhalten, erlangt der Neubau 48 m Traufenhöhe.

Bereits diese Baumasse hat gravierende negative Auswirkungen auf den umliegenden Stadtraum:

  • Sie überragt die Ringstraßenbebauung um mehr als das Doppelte.
  • Sie bildet als massiver Block mit 100 m Länge im unmittelbaren Umfeld eine erdrückende Dominanz.
  • Aus mittleren Entfernungen (Karlsplatz / Schwarzenbergplatz bis Ring / Stadtpark) stellt sie einen unverhältnismäßigen Maßstabssprung dar.
  • Aus der wichtigen Blickachse des Belvederegartens wie auch im Rundblick vom Stephansturm bildet sie eine massive Beeinträchtigung der Stadtsilhouette, die zentraler Inhalt der Erklärung des Wiener Stadtzentrums zur Welterbestätte ist.

Grundsätzlich wäre ein Erhalt des Hotelbestands aus 1964, im Wettbewerb 2014 noch wichtigster Grund für die Prämierung des Siegerprojekts von Isay Weinfeld, allein aus Gründen der grauen Energie und zumindest, solange eine ernsthafte Prüfung der Denkmalwürdigkeit nicht stattgefunden hat, dem seit 2016 vorgesehenen Abbruch vorzuziehen.Eine weitere Erhöhung des gegenüber dem Bestand bereits um 10 m erhöhten Hochhausbaukörpers kann dagegen nicht ernstzunehmend zur Diskussion stehen, schon gar nicht als „Kompromiss“. Im Vergleich zum bisher forcierten Turm wäre sie keine geringere Beeinträchtigung der sensiblen Balance der Bauhöhen im Ringstraßenbereich und Stadtzentrum von Wien.Statt über eine Erhöhung der Hotelscheibe zu verhandeln, muss weiterhin ihre Reduktion auf die Bestandshöhe des Hotel Intercontinental (38 m über dem Straßenniveau beim Konzerthaus-Haupteingang / 51 m über der Wiener Null) gefordert werden.

Der von der Stadt Wien vorgeschlagene „Kompromiss“ ist also kein Kompromiss, sondern in Wirklichkeit ein kaum verschleierter Versuch, die UNESCO, die Bundesregierung und die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen, umso mehr, als seine konkrete Ausformung bis jetzt im Unklaren bleibt.

Daher treten wir als NGOs und österreichischeKultur-und Architektur-Institutionen sowie als ExponentInnen der Fachwelt, die seit Jahren einen Stopp dieses Projektsfordern, mit folgenden Forderungen neuerlich an die Öffentlichkeit:

  1. Die Vorgaben der UNESCO können nicht wegverhandelt werden, sie sind der unveränderte Maßstab.
  2. Das „Welterbe Historisches Zentrum von Wien“ kann nicht von der Roten Liste der gefährdeten Weltkulturerbeprojekte genommen werden, solange die Auswirkungen des Heumarkt-Projekts auf die wesentlichen Sichtbeziehungen nicht geklärt ist und es keine Entscheidung zur Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung über das Vorhaben am Heumarkt gibt.
  3. Die Widersprüche zwischen dem an die UNESCO im Februar 2020 gesandten Prüfbericht und öffentlichen Erklärungen des Welterbebeauftragten der Stadt Wien über die bestehenden und anvisierten Bauhöhen müssen umgehend aufgeklärt und die Volumetrie des „alternativen Lösungsansatzes“ offengelegt werden:
    Fällt der Turmgänzlich weg, oder soll er nur in der bisherigen Höhe nicht gebaut werden?
    Hält das Hotelhochhaus die Höhenvorgaben der UNESCO (Bestandshöhe = 38 m) ein?
  4. Ein 100m breiter und, wie vom Wiener Welterbebeauftragten angedeutet, mehr als 48m hoher Hochhausriegel kann nicht als Verbesserung gegenüber dem Turm verkauft werden.
    Er wäre eine sogar noch massivere Beeinträchtigung der sensiblen Bauhöhenbalance im Ringstraßenbereich und im Stadtzentrum von Wien. Eine Vergrößerung der Baumassen darf nicht bewilligt werden.Im Gegenteil: an einer Reduktion der Baumassen und an einem Neustart des Projekts führt kein Weg vorbei.

Wir fordern daher weiters die Stadt Wien zu einem ehrlichen und offenen Umgang mit dem von ihr selbst geschaffenen Problem auf, mit klaren Vorgaben gegenüber dem Projektbetreiber in Übereinstimmung mit den Vorgaben der UNESCO, um einen Neustart des Projekts unter adäquaten Rahmenbedingungen zu ermöglichen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, zu diesen neuesten Entwicklungen nicht länger zu schweigen, sondern, wie im Regierungsprogramm angekündigt, als Vertragspartner der UNESCO für eine Einhaltung ihrer internationalen Verpflichtungen zu sorgen. Wenn sie ernsthaft an der Erhaltung der Welterbestätte „Historisches Zentrum von Wien“ interessiert ist, müsste sie unverzüglich geeignete und ihr laut den inzwischen zur Verfügung stehenden Gutachten verfassungsrechtlich zu Gebot stehende Maßnahmen zur Durchsetzung der völkerrechtlichen Verpflichtung der Republik Österreich gegenüber der Stadt Wien treffen, um eine rechtswidrige Bauführung hintanzuhalten.

Es darf innerhalb der dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verschriebenen EU nicht geduldet werden, dass sich die Stadt Wien über internationale – noch dazu mit einer Organisation der Vereinten Nationen geschlossene – Staatsverträge beharrlich hinwegsetzt und damit die Republik Österreich samt deren Vertragspartner vor aller Welt desavouiert.

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1 Siehe: Reactive Monitoring Mission Report 2012, insbesonderePunkt 4.1.2; WHC-13/37.COM/20 (2013), Decision 71.World Heritage Properties of Vienna, insbesonderePunkt 4.; sowie sämtliche nachfolgenden Entscheidungen des World Heritage Committee (WHC).

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